Nach einer gut durchschlafenen Nacht höre ich morgens den Regen in dicken Tropfen gegen die Scheiben peitschen. Das Wetter hat sich also kein Stück gebessert,
wenigstens pfeift der Wind immer noch aus der selben Richtung. Wir telefonieren ein bisschen rum und finden ein Hotel an der Elbe in der Nähe von Stade, das bereit
ist, uns ein Zimmer bis 15:00 Uhr zunächst zu blocken. Zu blocken deshalb, weil ich morgens nicht wage abzuschätzen, wie weit wir kommen würden. Unmöglich bei
diesen Wetterkapriolen. Wir vereinbaren also mit der Hoteldame, dass wir uns gegen drei noch mal melden werden, nehmen ein leckeres Frühstück und fahren los.
Einmal quer durch Cuxhaven, durch Altstadt und Hafen und dann am Wasser entlang. Ich habe mich überzeugen lassen, dass es sich dabei nicht um die Nordsee handelt,
sondern diese überdimensionale Pfütze stellt die Elbmündung dar. Meinetwegen. Wir fahren also an der ziemlich breiten Elbe entlang und stellen fest, dass der Wind
von hinten bläst. Ein wenig, also ein bisschen. Oder vielleicht doch ganz schön heftig? Jedenfalls brauche ich nicht zu treten, und erreiche trotzdem
Geschwindigkeiten jenseits der 20 km/h. Das Gepäck wirkt dabei wohl wie ein Segel. Die wenigen Radfahrer, die uns entgegen kommen haben schmerzverzerrte
Gesichter aufgesetzt, entweder sind die alle verprügelt worden oder es ist ganz schön anstrengend, bei Windstärke 6 gegen den Wind zu radeln.

Spaß beiseite, es ist ganz sicher kein Spaß heute gegen den Wind fahren zu müssen und das bereitet mir für unsere weitere Tour echt Kopfzerbrechen!
Bis Hamburg oder Stade, je nachdem wo wir die Elbe queren werden, haben wir Rückenwind. Aber dann geht es ja genau in die entgegengesetzte Richtung.
Und dann hat der Spaß ein Loch, wie mir der Opa bestätigen könnte, der mir gerade entgegenkommt… Wenn er denn noch Puste zum Reden hätte.
Auf jeden Fall führt uns der Radelweg bis Otterndorf direkt am Wasser entlang, wie gewohnt zwischen Schafen und Kühen und allem was die so hinterlassen
hindurch. Unsere Fahrräder schauen danach echt eklig aus. In Otterndorf kommt uns das erste Mal die Beschilderung des NSCR abhanden. Ein freundlicher Herr möchte
uns helfen, hat aber wohl noch nie was von der North Sea Cycle Route gehört. Er will uns am Wasser weiterschicken, ich weiß aber dass das verkehrt ist, weil hier
in Otterndorf der Weg ins Land abbiegt. Wir finden einen anderen Wegweiser nach Wingst und ich weiß, dass das an unserer Strecke liegt, also fahren wir dem nach
und finden nach ein paar Kilometern plötzlich auch die blauen NSCR-Schildchen wieder. Der Weg führt nun über Landstraßen, die sehr eng, aber keineswegs un- oder
wenig befahren sind. Das finden wir nicht so toll, freuen uns aber weiterhin über kräftigen Rückenwind und einen Wechsel aus Sonne, Wolken und vereinzelten sehr
kurzen Regenschauern. Wobei uns die Regenschauer weniger freuen, aber aufgrund der Kürze und der sehr geringen Niederschlagsmengen gut auszuhalten sind. Irgendwann
biegt unser Weg in ein Wäldchen ab, das stand auch in der Beschreibung auf Radreise-Wiki so drin. Was so nicht drinstand, dass der Weg jetzt ein leicht ansteigender
Sand-/ Schotterweg ist. Das ist mit bepackten Fahrräder eine Schinderei, Spaß im Urlaub ist echt was anderes. Außerdem ist uns im Wald natürlich der Rückenwind
abhanden gekommen, gerade jetzt, wo man ihn brauchen könnte. Irgendwann wird der Weg wieder besser, ein Schildchen des NSCR war auch mal wieder zu sehen, wir sind
also noch richtig. NOCH! Kurze Zeit später verpassen wir nämlich eine Biegung, keine Ahnung ob sie ausgeschildert war, wir haben nichts gesehen. Erst beim
spätabendlichen Studium des aufgezeichneten Tracks und dem Vergleich mit dem Track von Radreise-Wiki fällt uns auf, wo der Fehler wohl passiert ist. Und obwohl
wir den Radweg in der Folge noch mehrfach kreuzen, sehen wir keine durchgehende Beschilderung mehr. Der nächste Ort, den wir durchqueren sollten, wäre Hemmoor,
allerdings besteht der aus gefühlt dreißig weit verstreuten Ortsteilen und so umkreisen wir den Ortskern erst mal, bis uns überhaupt richtig auffällt, dass wir
wohl vom rechten Weg abgekommen sind. Also nicht sprichwörtlich sondern tatsächlich! Nach einigen Kreisen finden wir den Bahnhof von besagtem Hemmoor und sind
doch tatsächlich nur ca. 150 Meter vom eigentlichen Radweg entfernt, was wir natürlich zu dem Zeitpunkt nicht wissen können. Wir wissen, das unser Radweg ein
Stück entlang der Oste führt, ein kleines Flüsschen, das hier ziemlich unaufgeregt langplätschert. Also entscheiden wir uns für den Oste-Radweg, der uns tatsächlich
in die richtige Richtung führt. Aber auf der falschen Seite des Flusses. Das beschert uns leider wieder ein paar Extra-Kilometer, bis wir schließlich fast im Kuhstall
eines Bauern stehen, der uns ganz ungläubig fragt, was wir von seinen Kühen wöllten. Da ich mir sicher bin, das mich der Typ für total bekloppt hält, wenn ich ihm
hier mitten im Land was von einem Nordsee-Radweg erzähle, nenne ich ihm die nächste Ortschaft, die wir zu finden hofften. Ja sagt er, das ist gleich hier drüben.
Auf der anderen Seite der Oste.

Früher fuhr mal eine Fähre, aber die fährt schon seit dem Krieg nicht mehr. Jetzt schau ich erst mal blöd und grübel, wann hier die letzte bewaffnete
Auseinandersetzung stattfand. Der Typ ist höchstens so alt wie ich und ich habe echte Schwierigkeiten, mich an den letzten Krieg zu erinnern. Naja, wir
vernachlässigen das geschichtliche Problem dann und kommen zum eigentlichen Dilemma, nämlich dass wir entweder zurück nach Hemmoor müssten oder weitere Kilometer
quer durchs Land fahren müssten um eine befahrbare Flussüberquerung anzutreffen. Wir entscheiden uns für die zweitere Variante und fahren nach Hechthausen,
wo wir eine Brücke und den Wegweiser nach Himmelpforten finden. Das freut uns aus zwei Gründen, erstens können wir dort im Postamt unsere Wünsche für`s nächste
Weihnachtsfest deponieren und zweitens führt der Nordsee-Radweg durch Himmelpforten. So radeln wir also die sechs Kilometer entlang einer Bundesstrasse und
erreichen Himmelpforten. Dort sehen wir die Straße, wo wir eigentlich hätten herkommen sollen und wähnen uns wieder auf dem rechten Weg.
Zunächst retten wir uns mit viel Glück in einen kleinen Supermarkt vor dem einsetzenden Regenschauer, der dieses mal ziemlich heftig ausfällt.
Als das Wetter sich ausgetobt hat (so meinen wir) fahren wir wieder weiter. Es gibt immer noch keine Schilder unseres Radweges, also fahren wir weiter
entlang der Straße Richtung Stade. Unser Radweg wäre einige Meter weiter innerorts in Richtung einiger kleiner Dörfer abgezweigt, aber davon ahnen wir nichts
sondern fahren weiter auf dem kleinen Radweg entlang der Bundesstrasse, die hier viel, schnell und laut dröhnend befahren wird. Das nervt jetzt richtig zumal
zu allem Übel jetzt wieder ein richtiger Regenschauer einsetzt. Da wir aber keine Lust haben hier stehen zu bleiben, streifen wir uns die Regenjacken über und
ziehen grimmig entschlossen durch. Ein Höllenritt, mit Lärm, Sturm und jeder Menge Wasser von oben und von den vorbei fahrenden Fahrzeugen, was uns die Laune
endgültig vermiest. Als es endlich aufhört zu regnen, geht es durch ein Waldstück, wo es von den Bäumen tropft, als würde es immer noch regnen. Der eigentliche
NSCR wäre in paar hundert Meter links parallel zur Bundesstrasse über Dorfsträßchen verlaufen, nicht dass es dort weniger geregnet hätte oder kürzer gewesen
wäre, aber der Lärm der Autos wäre uns erspart geblieben.
So erreichen wir endlich Stade und kämpfen uns mit Hilfe eines Ortsplanes an einer Bushaltestelle in Richtung Innenstadt. Und plötzlich bricht aus dem Nichts
der Nordsee-Radweg hervor und wir folgen ihm dann doch noch die letzten paar Meter in Richtung der Innenstadt von Stade. In der Nähe eines Freilichtmuseums verlassen
wir ihn kurz, um noch eine Runde durch die Stadt zu drehen und etwas zu essen. Wir haben jetzt viel Zeit, da ich im nachmittäglichen Telefonat mit dem Hotel vereinbart
hatte, das uns der Schlüssel außerhalb des Hauses (in der Zeitungsrolle) hinterlegt wird und wir so ankommen könnten, wann es uns beliebt. Mir erscheint diese
Vorgehensweise ziemlich merkwürdig, da der Vorschlag aber von der Hoteleignerin kommt, vermute ich, dass es nicht das erste Mal ist, das so vorgegangen wird.
Mir war`s recht. Also schauen wir uns das Städtchen an, sehr malerisch mit den reichverzierten Häusern entlang eines Kanals, der mitten in der Stadt aufgestaut
und dahinter trockengelegt dasteht. Offensichtlich wird am Bett gearbeitet, das hier an dieser Stelle einige Häuser unterquert. Eine Riesen-Baustelle, schade,
es stört ein bisschen den zauberhaften Eindruck dieses Ortes, aber wohl notwendig. Wir speisen ausgiebig beim Griechen und genehmigen uns sogar ein Bier, schließlich
werden wir heute unseren bisherigen Tour-Rekord brechen. Die Etappe war eh schon relativ lang geplant (ca. 85km) aber aufgrund der Ehrenrunden, die wir aufgrund
massiver Orientierungslosigkeit gedreht haben, kommen wir zum Schluss auf 106 km. Das war so nicht geplant. Nach dem Essen ist es schon halb neun und die Straßen von
Stade sind wie leergefegt, nicht das hier etwa der Hund gestorben wäre, nein Deutschland spielt um neun bei der Fußballweltmeisterschaft und ganz Stade hockt vor
dem Fernseher oder beim Public Viewing. Das hat auch was, wenn man die Straßen einer Kleinstadt vollkommen für sich allein hat!

Wir verzweifeln wieder ein wenig an der verwirrenden Beschilderung, vielleicht liegt`s ja auch am Bier und dem noch genossenen Ouzo, aber irgendwann haben
wir uns bis zur Elbe durchgekämpft und fahren den Deich entlang, da wir unser Hotel am Fähranleger in Lühe wissen. Obwohl sich der Weg noch schier endlos zieht,
erreichen wir gegen zehn unser Hotel, finden den Schlüssel wie versprochen sofort und fallen beinahe augenblicklich ins Bett. Wir schauen uns die letzten Minuten
des Fußball-Debakels an und ich versuche verzweifelt anhand von Aufzeichnung und Radreise-Wiki nachzuvollziehen, was schief gelaufen ist. Im Resümee der Etappe
muss ich die Schuld natürlich in erster Linie bei mangelnder Vorbereitung finden, es reicht halt nicht, den Track zu studieren, eine Wegbeschreibung zu lesen und
auf die Beschilderung zu hoffen. Die war ja bisher auf dem gesamten Radweg tadellos, aber gestern war sie halt mangelhaft bis nicht vorhanden oder jedenfalls nicht
sichtbar. Dem hätte man problemlos mit einem Navi oder wenigstens einer Faltkarte begegnen können, hatten wir aber beides nicht. Sei`s drum, ich würde diese Etappe
eh nicht wieder fahren, sie war nicht besonders reizvoll, eher belanglos und entspricht überhaupt nicht dem Charakter des NSCR. Man hätte tatsächlich am Wasser
bleiben sollen und den Elbe-Radweg runter fahren können, Stade und das alte Land erreicht man so auch. Verpassen täte man ganz sicher nix!
Nachdem Deutschland den übermächtigen Ghanaern ein Unentschieden abgetrotzt hat, entschlummern wir langsam und ich grübele noch ein wenig, wie wir das mir dem
Gegenwind lösen könnten.
Ich glaub, mir ist auch schon was eingefallen.